Bundesarbeitsgericht (BAG): Arbeitgeber müssen bei der Kündigung schwerbehinderter Arbeitnehmer während der sechsmonatigen Wartezeit (§ 1 Abs. 1 KSchG) kein Präventionsverfahren nach § 167 Abs. 1 SGB IX durchführen (Urt. v. 03.04.2025 – 2 AZR 178/24).
Das Präventionsverfahren nach § 167 Abs. 1 SGB IX muss bei schwerbehinderten Arbeitnehmern sowie solchen, die schwerbehinderten Menschen gleichgestellt sind, regelmäßig vor Ausspruch einer Kündigung durchgeführt werden. Arbeitgeber sind verpflichtet, bei Schwierigkeiten, die das Arbeitsverhältnis gefährden können, frühzeitig die Schwerbehindertenvertretung, den Betriebsrat und das Integrationsamt einzuschalten, um gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Ziel ist es, drohende Kündigungen zu vermeiden und den Arbeitsplatz zu sichern.
Das BAG hatte bereits 2016 entschieden, dass ein Präventionsverfahren während der sechsmonatigen Wartezeit nicht durchzuführen ist (Urt. v. 21. April 2016 – 8 AZR 402/14).
Das LAG Köln hat hingegen im Jahr 2024, abweichend von der Rechtsprechung des BAG, eine Pflicht zur Durchführung des Präventionsverfahrens auch während der Wartezeit angenommen (Urt. v. 12.09.2024 – 6 SLa 76/24). Das LAG argumentierte, dass § 167 Abs. 1 SGB IX keine zeitliche Einschränkung zur Durchführung des Präventionsverfahrens vorsehe. Auch der Sinn und Zweck des Präventionsverfahrens spreche gegen eine zeitliche Begrenzung. Gerade in der Probezeit könne es sinnvoll sein, durch die Ermittlung und Anwendung unterstützender Maßnahmen das Arbeitsverhältnis über die ersten sechs Monate hinaus und für die weitere Zukunft zu sichern.
Das BAG bestätigte in seiner Entscheidung seine bisherige Rechtsprechung, dass das Präventionsverfahren ausschließlich bei Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG) durchgeführt werden muss (Urt. v. 03.04.2025 – 2 AZR 178/24). Die Vorschrift knüpfe an die Terminologie des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG) an und setze damit dessen Anwendbarkeit voraus.
Arbeitnehmer genießen den Schutz des Kündigungsschutzgesetzes gem. § 1 Abs. 1 KSchG erst, wenn sie die sogenannte „Wartezeit" erfüllt haben, das heißt wenn das Arbeitsverhältnis länger als sechs Monate besteht.
Konsequenterweise stellt das BAG klar, dass die Pflicht zur Durchführung des Präventionsverfahrens nicht nur bei einer Kündigung innerhalb der Wartezeit, sondern auch bei sogenannten Kleinbetrieben, die in der Regel nicht mehr als 10 Arbeitnehmer beschäftigen, entfällt.
Die Entscheidung schafft Rechtssicherheit für Arbeitgeber und reduziert den Verwaltungsaufwand bei Wartezeitkündigungen erheblich.
Allerdings darf auch während der Wartezeit die Kündigung nicht wegen der Behinderung des Arbeitnehmers erfolgen. Eine Kündigung wegen der Behinderung stellt eine Diskriminierung nach § 164 Abs. 2 SGB IX i. V. m. § 22 AGG dar und ist daher gem. § 134 BGB nichtig.
Zudem ist zu beachten, dass ein Anspruch auf behinderungsgerechte Beschäftigung nach § 164 SGB IX auch während der Wartezeit besteht. Der Anspruch besteht unabhängig von der Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG).
Das Fehlen der Verpflichtung zur Durchführung eines Präventionsverfahrens während der Wartezeit vereinfacht die Rechtslage für Arbeitgeber erheblich. Dennoch sollten sachliche Kündigungsgründe sorgfältig dokumentiert werden, um den Anschein einer behinderungsbedingten Benachteiligung auszuschließen. Bei behinderungsbedingten Problemen sind weiterhin alternative Beschäftigungsmöglichkeiten zu prüfen.